Worum es bei Gamestop wirklich geht
Die übliche Startup-Disruption? Wieso die Eskalation an der Wall Street erwartbar war
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Gamestop: Kleine Fische, große Fische und das bekannte Startup-Spiel
Das Volk gegen die Wall Street: So könnte man den Trubel um die Gamestop-Aktie in den vergangenen Wochen und vor allem Tagen zusammenfassen. Was passiert ist: Institutionelle Investoren machten seit Jahren gutes Geld mit dem Shortselling der Gamestop-Aktie, also setzen auf fallende Kurse bei der Handelskette. Die Trading-Community hat dieses rege Shortselling-Aufkommen bei Gamestop entdeckt und es sich zum Ziel gesetzt, den institutionellen Investoren entgegenzuwirken und die Aktie in die Höhe schnellen zu lassen. Dies ist jetzt passiert, weshalb sich die großen Fische beschweren und den Handel der Kleinanleger stoppen lassen wollen. Die kleinen Fische wiederum verstehen nicht, warum die Großen genau das Spiel, das sie seit Jahren treiben, abdrehen wollen. Und an diesem Punkt schaltet sich die US-Politik und die US-Börsenaufsicht ein.
Ich selbst beobachte die Trading-Community, die besonders durch die App Robinhood an Momentum gewonnen hat, seit einem Jahr genauer. Dass es irgendwann zu so einer Eskalation kommen wird, war sehr absehbar. Aber dazu gleich mehr.
Wie ist das passiert?
Die Trading-Community findet sich in vielen Online-Foren wieder. Das bekannteste ist die Reddit-Community Wallstreetbets. Diese ist nicht neu, sondern wurde vor mehr als acht Jahren gegründet. Der Gründer dieses Forums wurde vor einigen Monaten selbst aus Wallstreetbets geworfen – was veranschaulicht, welch ein Selbstläufer mit irrsinniger Macht dieses Forum geworden ist. Der Ton auf Wallstreetbets ist sehr rau und sexistisch, für mich ist es deshalb das Schmuddelforum unter den Trading-Foren. Auf Reddit und auch auf der Plattform gibt es noch weitere große Communities, Pennystocks zählt zu den bekannteren.
Als stille Teilnehmerin dieser Communities habe ich schon früh gemerkt, dass Aktien oftmals ohne Grund in die Höhe getrieben werden. Es gibt natürlich auch gut begründete Trades, Nutzer machen umfangreiche Due Diligences und suchen nach Catalysts, also Preistreibern für die Aktie. Jeden Tag gibt es Titel, die durch den Hebel von Wallstreetsbets und anderen mehrere hundert Prozent steigen. Wer dieses Muster erkennt und Nerven hat, kann mit diesen Trades gutes Geld verdienen.
Die Disruption beginnt
Wer die Community verfolgt, fragt sich aber auch: Was macht das mit den Unternehmen, deren Kurse innerhalb kurzer Zeit so massiv steigen oder fallen? Was macht das mit den Kleinanlegern, die im Gegensatz zu institutionellen Investoren ihr privates Hab und Gut verspielen könnten – oder auch ein Vermögen aufbauen können, wie es noch nie zuvor möglich war? Und was macht das mit dem System der Wall Street selbst, bei der bislang die großen Fische das Sagen hatten und die kleinen Fische mitschwimmen durften?
Das was wir hier gerade erleben, ist die Disruption, die jedes große Startup irgendwann erreicht und somit den Markt langfristig verändert. Am Wohnungsmarkt war es Airbnb, am Taximarkt Uber. Diese Unternehmen haben in Anfangszeiten rechtliche Rahmenbedingungen soweit ausgenutzt, dass es irgendwann zu einer Eskalation kam, und dann schließlich die Gesetzgeber reagieren mussten und der Markt sich auf neue Regeln einstellen musste.
Am Aktienmarkt ist Robinhood das Startup, das für diese Disruption sorgt. Die Trading-App hat mit Beginn der Pandemie immer mehr Nutzer angezogen, da viele aufgrund Jobverlust Zeit fürs Handeln hatten.
Worum geht’s also wirklich?
Robinhood lebt also von dieser Trading-Community und verdient auch sein Geld damit. Gestern haben Robinhood und andere Broker den Handel mit Gamestop vorübergehend gestoppt. Und das sorgt für Ärger: Denn Robinhood stellt sich mit dieser Maßnahme gegen ihre eigene Community und unterstützt offenbar die großen Fische, die ihre Wetten nicht verlieren wollen. Das Unternehmen begründete den Handelsstopp damit, sich selbst und die Nutzer schutzen zu wollen.
Und das bringt den Gamestop-Konflikt auf die gesellschaftliche Ebene, um die es hier eigentlich geht. Denn Robinhood und die Online-Netzwerke haben für eine Demokratisierung des Marktes gesorgt. Die Kleinanleger erwarten sich nun von der Politik, dass sie unterstützt werden, und nicht die Großinvestoren. Schon bei der Finanzkrise 2008 hatten viele das Gefühl, dass den Großen geholfen wird und die Kleinen darauf zahlen.
Dass es hier um eine gesellschaftliche Frage geht, zeigt auch ein Protest, der gestern an der Wall Street stattfand, mit “Tax Wall Street” und “Fuck Robinhood”-Rufen. Unterstützung bekommen die Kleinen von den Demokraten.
Robinhood scheint sich indes schon mal seelisch auf Klagen vorzubereiten: Das Startup gab gestern bekannt, eine neue Finanzierung in Höhe von einer Milliarde US-Dollar zu erhalten.
Was passiert jetzt?
Gamestop schloss am Donnerstag 44 Prozent im Minus, doch in der Wallstreetbets-Community hofft man, den Preis heute wieder in die Höhe zu treiben. Das Katze-Maus-Spiel geht vorerst weiter, solange die Börsenaufsicht keine konkreten Maßnahmen trifft.
Auf einer Metaebene betrachtet wird diese Disruption des Aktienmarktes einige Veränderungen bringen: Zum einen könnten das mehr Regulierungen für die neuen Broker sein, um Kleinanleger (vor sich selbst ;) ) zu schützen. Zum anderen steht auch zur Diskussion, ob das Shortselling im großen Stil der institutionellen Investoren verboten werden soll. Und dann ist da noch die Frage, wie klein die Fische der Wallstreetbets wirklich sind, denn wie Ranjan Roy in seinem Margin-Newsletter betont, ist auch großes Geld auf dieser Seite des Konflikts involviert.
Nicht gut aussteigen wird bei der Sache Gamestop selbst, Roy schreibt dazu:
Gamestop's CFO is a guy named Jim Bell. I feel he might go by Jimmy B. He was formerly the CFO of the PF Chang's holding company (awesomely named Wok Holdings). He was a Naval Officer. Jimmy B. seems like the type of guy you'd want to handle such a high-pressure situation. But when that stock starts absolutely tanking - what happens? Does it stop exactly at some reasonable enterprise valuation? That's not how momentum works. In trading, everyone loved the adage "don't try to catch a falling knife" but while everyone enjoyed the lulz on the way up (other than Melvin Capital), it will be Bell's job to catch the knife on the way down to try to keep as many of these people still employed as possible. Whatever happens, it will dangerous and ugly. Real employees could lose their real jobs thanks to the lulz.
Und was heißt das für uns?
Ich persönlich finde Day Trades und Swing Trades, die oft mit Zocken verglichen werden, in Ordnung, wenn man sich den Risiken bewusst ist. Ich handle bei kurzfristigen Trades nur mit Aktien, bei denen es tatsächlich sogenannte Catalysts gibt. Da ich in den vergangenen Monaten aber beobachtet habe, wie volatil der Markt allein durch die Macht der Community geworden ist, halte ich selbst in Zeiten wie diesen die Füße still. Dass diese Bewegungen ein Ausmaß haben, das ganze Märkte und Unternehmen bedrohen kann, ist meiner Meinung nach bedenklich – war aber auch erwartbar. Deshalb hoffe ich, dass die neuen Player am Markt für neue Spielregeln und auch für mehr Aufklärung sorgen, wie das in vielen anderen Branchen durch Startups bereits passiert ist.
Wer die Wallstreetbets-Community besser verstehen will, dem empfehle übrigens ich diesen Podcast als Hintergrund.
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Schönes Wochenende, ohne große Verluste!
Lisa
Spannende Aspekte zur Gamestopp-Geschichte, danke für deine Einschätzung